Kreis Höxter (red). Ukraine-Krieg, Inflation, steigende Energiepreise, hoher Kostendruck und Fachkräftemangel: Die Zeiten sind im Moment schwierig für heimische Handwerksbetriebe. Eine wirklich gute Auftragslage ist vor allem in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie der Elektrotechnik zu beobachten. Über die aktuelle Situation im Handwerk äußert sich Martin Knorrenschild (60), der seit 2015 als Kreishandwerksmeister gemeinsam mit der Kreishandwerkerschaft Höxter-Warburg rund 600 Innungsbetriebe vertritt, in einem Interview.

Wie ist die Stimmung unter den heimischen Handwerkerinnen und Handwerkern? Sehen sie alle noch optimistisch in die Zukunft?

Martin Knorrenschild: Wir haben in den letzten Jahren schon massive Herausforderungen allein durch Corona gehabt, aber wenn nicht wir Optimismus verbreiten, wer dann? Wir haben natürlich energieintensive Gewerke wie Fleischereien oder Bäckereien, da ist es manches Mal für die Betriebe schwierig, und auch die Auftragseinbrüche im Baugewerbe müssen aufgefangen werden. Aber wir bleiben trotz allem am Ball, denn das Handwerk als „Wirtschaftsmacht von nebenan“ wird immer gebraucht und wird es immer geben.

Allein in OWL fehlen nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 15.000 Fachkräfte für das Handwerk. Vor allem in den Bereichen des Baus, der Sanitär- und Klimatechnik und in der Elektrotechnik sieht es düster aus, wie ist die Situation im Kreis?

Martin Knorrenschild: Der Facharbeitermangel besteht auch in den genannten Gewerken aus dem Kreis. Denn viele Betriebe suchen händeringend Personal. Die Not wird auch größer werden, das will ich nicht verhehlen. Dazu kommt, dass uns der Klimawandel sozusagen in die Füße gegrätscht hat und wir sehr viele Kräfte brauchen, welche die Energiewende mitgestalten. Es fehlen schlechthin die Menschen, die im Handwerk einen Beitrag zur Einsparung der Emissionen und zum Klimaschutz leisten. Denn eines ist klar: Ohne Handwerk wird es keinen erfolgreichen Ausbau erneuerbarer Energien geben, ohne gut geschulte Fachkräfte wird die Energiewende nicht gelingen. Trotzdem bin ich überzeugt, auch im Blick auf die Ballungszentren, in denen die Situation noch verschärfter ist, dass es im Handwerk bei uns im Kreis weitergeht und wir Zukunft gestalten können.

Wie kann man Jugendliche dazu bringen, eine Ausbildung im Handwerk zu starten?

Martin Knorrenschild: Da sind zum einen die ersten prägenden Personen - die Eltern. Zum anderen - die Schule. Über eine duale Ausbildung im Handwerk als gutes Fundament für eine weitere Karriere denken beide Parteien zu wenig nach. Denn oft genug wird nach der Schule immer noch der Weg zum Studium favorisiert. Das muss sich ändern. Gerade die persönliche Entfaltung und eine sinnstiftende Arbeit lassen sich im Handwerk wunderbar miteinander verbinden. Und gutes Geld verdient man auch, wenn man leistungsfähig ist und einen guten Job macht.

Wissen viele Schulabgängerinnen und Schulabgänger nicht um die Vielseitigkeit der Berufsbilder, sondern sie halten das Handwerk für altbacken, fürchten um schlechte Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, kurz für einen Knochenjob?

Martin Knorrenschild: Es existieren leider immer noch viele Klischees und Vorurteile. Eines sollte klar sein: Was wir gar nicht mehr gebrauchen können, sind Handlanger. Wir brauchen Leute mit Köpfchen und technischem Verständnis, denn die Aufgaben und Herausforderungen in den einzelnen Gewerken sind sehr komplex geworden. Die Digitalisierung und weitere technische Innovationen nehmen weiteren Raum ein, da braucht es gewisse Qualifikationen. Was die körperlichen Anforderungen angeht, da gibt es für alles Maschinen, Kräne und Geräte, welche die Arbeit erleichtern.

Heutige Jugendliche haben oft eine andere Einstellung, Stichwort „work-life-balance“. Müssen sich Arbeitgeber künftig darauf einstellen?

Martin Knorrenschild: Ja, da führt kein Weg dran vorbei, wenn wir weiter Fachkräfte gewinnen wollen. Denn heutige Generationen haben ein anderes Verhältnis zum Beruf und zur Freizeit als vor 30 Jahren. Und da müssen Arbeitgeber ihre Erwartungen an die Realität anpassen und flexible Regelungen treffen. Familienfreundliche Betriebe sind einfach beliebter.

Wird die von der Politik so oft propagierte Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte das Problem des Fachkräftemangels lösen? Oder wäre es besser, Ältere länger arbeiten lassen, so jetzt die „Babyboomer“?

Martin Knorrenschild: Das können sicherlich alles Bausteine sein, aber auf keinen Fall eine Gesamtlösung des Problems. Mit qualifizierten Kräften aus dem Ausland kann ich nur einen kleinen Teil auffangen, und die älteren Arbeitsnehmer lassen sich nur bedingt auf Dauer einsetzen – schon allein wegen der körperlichen Fitness. Ich denke, wir müssen noch mehr Aufklärungsarbeit leisten, für das Handwerk massiv werben und aufzeigen, wie kreativ und technisch innovativ handwerkliche Berufe sind.

Oder ist die viel diskutierte Vier-Tage-Woche auch für das Handwerk eine Möglichkeit, die Situation zu entschärfen?

Martin Knorrenschild: Ja, die Vier-Tage-Woche ist auch im Handwerk ein Thema. Einige Betriebe sind sogar schon in der Umsetzung. Jetzt muss man die Entwicklung abwarten und Erfahrungen analysieren. Ob sich das in allen Betrieben etabliert, muss sich zeigen, und die Kundinnen und Kunden müssen das auch akzeptieren. Aber das Handwerk ist ja offen für alles…

Welche Chancen versprechen Sie sich vom neuen Bildungscampus Handwerk?

Martin Knorrenschild: Sehr große Chancen. Denn der Bildungscampus in Brakel verspricht eine Aufwertung der handwerklichen Ausbildung und wird sich zum Leuchtturm für die gesamte handwerkliche Ausbildung – auch über die Region hinaus - entwickeln, davon bin ich fest überzeugt. Was dort in den vier Gewerken (Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Metall, Elektrotechnik, Holz und Technik) an Wissen und Innovationen vermittelt wird, ist alles andere als altbacken. Neueste Technik (zum Beispiel Augmented Reality) und Digitalisierung spielen an diesem Lernort eine große Rolle und bieten beste Voraussetzungen für aussichtsreiche Karriereplanung im Handwerk – und das im ländlichen Raum. Da zeigt sich ganz deutlich: Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden.

Foto: Kreishandwerkerschaft Höxter-Warburg/M. Schäfer