Nieheim (red). „Leider gibt es kein Patentrezept, um besondere Begabungen festzustellen.“ Diese Erkenntnis hielt Professor Thomas Trautmann von der Universität Hamburg aber nicht davon ab, in seinem Vortrag und vor allem beim anschließenden Workshop des Kreises Höxter in Nieheim wertvolle Hinweise und Tipps zu geben, wie das Potential der (Hoch-)begabten in der Schule gefördert werden kann. „Wir sind sehr froh, dass es gelungen ist, mit Professor Dr. Trautmann eine Koryphäe auf dem Forschungsgebiet von Hochbegabung in pädagogischen Arbeitsfeldern für unsere Veranstaltung zu gewinnen“, sagte Sabine Giefers vom Kreis Höxter zur Begrüßung in der Katholischen Grundschule Nieheim.

Gut 50 Eltern, Lehrer und Erzieher waren der Einladung der Abteilung Bildung und Integration des Kreises Höxter gefolgt, um aus berufenem Munde neue Erkenntnisse zum richtigen Umgang mit hochbegabten Kindern und Jugendlichen zu gewinnen. „Hochbegabung ist nicht automatisch an herausragenden Schulnoten oder außergewöhnlichen Leistungen zu erkennen“, machte der Referent schnell deutlich, dass besondere Begabungen besondere Förderung benötigen, damit sie in entsprechende Fertigkeiten und Kompetenzen umgesetzt werden können. „Ist kein förderliches Umfeld vorhanden oder wird der Mensch sogar – oft aus Unwissenheit – ausgebremst, kann sich die Hochbegabung bis ins Erwachsenenalter problematisch auswirken.“ Hochbegabte würden oft schon als Kleinkind nach Möglichkeiten suchen, sich selbstständig Wissen anzueignen, so Trautmann. Diesen Drang sollten Eltern unterstützen und keinesfalls abwürgen, riet er und forderte von ihnen Vorbildfunktion. Oft seien Eltern bereits sensibilisiert, wenn sie schon ein besonders begabtes Kind hätten. Auch Erzieherinnen in Kindergärten entdeckten manchmal besondere Fähigkeiten und machten die Eltern darauf aufmerksam. „Noch immer aber wird die Mehrzahl der besonders begabten Kinder verkannt“, sagte Trautmann. Manche Eltern nähmen die Begabungen nicht wahr, vor allem soziale Begabungen würden übersehen, so der Wissenschaftler. „Jede Hochbegabung ist individuell, deshalb darf man sie nicht alle in einen Topf werfen.“

„Die meisten der gängigen Intelligenztests sind in diesem Alter nicht effektiv“, wies Trautmann wiederholt auf die Schwierigkeiten hin, eine richtige Diagnose zu stellen. „Selbst überdurchschnittlich gute Zensuren oder das Überspringen einer Klasse können bei Kindern dieses Alters nicht belegen, dass eine besondere Begabung vorliegt.“ Da helfen nur ausführliche Gespräche mit Eltern und Kindern, um besondere Begabungen festzustellen. Vor allem ausgeprägte sprachliche Fähigkeiten gelten als Hinweis, ebenso eine schnelle Auffassungsgabe, ein fotografisches Gedächtnis oder die frühe Zuwendung zu Symbolen. Damit Hochbegabte ihren Klassenkameraden nicht meilenweit davonlaufen, empfahl Trautmann, dass sie im Freizeitbereich ungewöhnliche Hobbys wählen sollten, die nicht zum Unterrichtsstoff gehören. „Mit einer exotischen Fremdsprache oder beim Schachspielen können sie ihre Begabung ausprobieren und weiter entwickeln.“

Anhand eines von ihm entwickelten Denkmodells, bei dem Mikado-Stäbe eine wichtige Rolle spielen, gab er den Seminarteilnehmern die Möglichkeit, ihr diagnostisches Repertoire zu erweitern. Jeder einzelne Stab steht bei seiner Theorie für eine bestimmte Eigenschaft, wie zum Beispiel Perfektionismus, Kontrollüberzeugungen, geringe Frustrationstoleranz, Kreativität oder Selbstmotivation. Beim „Fallenlassen“ der Stäbe ergibt sich jedes Mal eine völlig neue Situation, wodurch sich die unglaubliche Menge an Varianten andeutet, die eine menschliche Natur der Hochbegabung annehmen kann. Schnell war allen klar, dass es nahezu unmöglich ist, allen Verlaufsformen und Daseinsattitüden nachzuspüren.

Deshalb konzentrierte sich Trautmann auf vier Konsequenzen aus dem Denkspiel, die für die Einsicht über Hochbegabung, ihrer Akzeptanz und deren Förderung notwendig sein müssen: „Einige Stäbe blockieren andere oder werden selbst (partiell) blockiert. Andere Stäbe liegen ‚offenbar‘ und frei. Es gibt ‚verschüttete‘ Stäbe, die in dem Geflecht der über ihnen liegenden kaum oder gar nicht zur Geltung kommen. Und schließlich kann man manchen Stab durch ‚Schütteln‘ freilegen.“ Seiner Meinung nach haben die Familie, Institutionen (wie Kita, Schule oder Universität) sowie die Ähnlichaltrigen und Medien als Lebenswelten diese „Rüttelfunktion“.

Im Workshop erarbeiteten die Teilnehmenden anhand von Beispielen die konkrete Umsetzung für den richtigen Umgang mit den Überfliegern oder Untertauchern. „Für die Lehrpersonen selbst muss klar(er) werden, was sie konkret unter Begabung verstehen wollen und können und wie sie Unterricht so professionell inszenieren, dass alle ihren Teil an Entwicklung wahrnehmen können“, brachte Professor Trautmann es auf den Punkt.

Foto: Kreis Höxter